Delhis Aam Aadmi Partei: Herausforderung an eine müde Demokratie

Patriotische Rikscha-Fahrer auf einer "Zeig Stärke-Kundgebung"
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Patriotische Rikscha-Fahrer auf einer "Zeig Stärke-Kundgebung" von Rikscha-Fahrern in einem Vorort von Delhi. Die Rikscha-Fahrer waren eine der Säulen der AAP-Bewegung, deren Unterstützung während der Wahlen auf Landesebene von höchstem Wert war

Revolutionäre, Anarchisten, Emporkömmlinge, Reaktionäre. Das sind nur einige der Schlagworte, mit denen man Indiens jüngsten Akteur auf der politischen Bühne belegte. Nach einer von allgemeiner Enttäuschung und Anti-Stimmung gegen korrupte Regierungen getragenen Wahl, und nach der Vereidigung der Aam Aadmi Partei (AAP) am 28. Dezember 2013 vor der gesetzgebenden Versammlung in Delhi, war der weitere Weg der Partei eine regelrechte Achterbahnfahrt. Diese 49-tägige Fahrt endete abrupt, wenn auch nicht endgültig, als der Parteiführer und Korruptionsbekämpfer Arvind Kejriwal am 14. Februar 2014 seinen Rücktritt als Ministerpräsident erklärte.

Kejriwals Rücktritt war eine Reaktion auf die fehlende Bereitschaft rivalisierender Parteien, das Jan-Lokpal-Gesetz zu verabschieden, das darauf abzielt, über einen Bürgerbeauftragten die Korruption in der staatlichen Legislative zu bekämpfen. Für Beobachter war dies ein Schritt, der sich schon seit einiger Zeit ankündigte. Die von Kontroversen, internen Machtkämpfen und mangelndem Zusammenhalt geplagte Partei ist, wie von manchen behauptet wird, völlig unkontrolliert in ihren Mitgliederzahlen gewachsen. Einige Partei-Kenner geben zu, dass sie ein Überleben der Partei über den Dezember 2013 hinaus nicht erwartet haben. Die anstrengende Regierungsarbeit ohne die nötigen Mehrheiten hat die Parteiführer und -ideologen anscheinend mit Rettungseinsätzen derart in Atem gehalten, dass ihnen die Zeit fehlte, die eigenen Parteimitglieder zu organisieren und die gegebenen Mandate mit klaren Inhalten zu füllen.

Die Anfänge der gegenwärtigen Pattsituation gehen auf einen Vorfall Ende Januar zurück, der nicht nur die Risse innerhalb der Partei, sondern auch die Natur der Stadt Delhi, die Unverantwortlichkeit der Gesetzeshüter und die demografische Zusammensetzung der AAP-Anhänger ans Tageslicht brachte. Im Zentrum der Kontroverse stand ein Stadtteil mit dem Namen Khirki Extension - eine der vielen kleinen urbanen Siedlungen, aus denen sich die Hauptstadt zusammensetzt. Khirki war in den letzten drei Jahren zu einem Getto für afrikanische Flüchtlinge und Immigranten geworden. Eine marode Gegend, die von der berüchtigten Immobilien-Mafia der Stadt als Zufluchtshafen für afrikanische Migranten angepriesen wurde, besonders wegen seiner niedrigen Mieten und unkomplizierten Formalitäten infolge fehlender gesetzlicher Aufsicht in Khirki. In diesem Stadtteil gibt es auch viele illegale Siedlungen von Wanderarbeitern.

 

Foto-Essay: "Der einfache Bürger"

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Der Streit entzündete sich über Fragen moralischer Korruption. Bewohner aus der indischen Mittelklasse unterstellten den Afrikanern, dass sie mit Drogen und Sex handelten und Khirki in ein Gangsterviertel verwandelten. Sie gingen sogar soweit zu behaupten, dass die Polizei mit ihnen unter einer Decke steckte. Das Drama nahm seinen Lauf, als der Politiker Somnath Bharti, ein ehemaliger Rechtsanwalt und AAP-Vertreter aus dem Wahlkreis Malviya Nagar in Delhi, zu dem auch Khirki gehört, die Angelegenheit in seine eigenen Hände nahm. Mit einer Selbstschutzgruppe durchsuchte er die Wohnungen von afrikanischen Frauen, von denen die Nachbarn behaupteten, sie wären Sexarbeiter. Seine Anweisungen an die lokalen Polizisten, Verhaftungen vorzunehmen, wurden von diesen nicht befolgt - zurecht, wie sich später herausstellte, da kein Haftbefehl vorlag. Dies provozierte einen öffentlichen Aufschrei und massive zweitägige Proteste von AAP-Mitgliedern mit dem Ziel, die Kontrolle der Polizei den Händen der Zentralregierung zu entreißen. Delhis einzigartiger Status als Hauptstadt und Bundesstaat zugleich weist die Kontrolle nämlich der Zentralregierung zu.

Dieser Vorfall sowie leichtfertige, frauenfeindliche Bemerkungen einiger Parteimitglieder führten dazu, dass viele Kritiker und Parteikenner, die von Männern dominierten Strukturen der AAP und die offensichtlich fremdenfeindlichen Tendenzen einiger Mitglieder und Anhänger in Frage stellten und damit eine innere Aufruhr auslösten. Es brachte auch die aufgestaute Wut vieler Einwohner Delhis ans Licht, die sich gegen jene richtete, die mit ihrem Schutz beauftragt sind. Vor allem wurden viele von uns dazu gezwungen, sich mit der Idee einer “Revolution des Volkes” auseinanderzusetzen und mit dem Problem, Verbündete zu finden und deren Natur ständig zu hinterfragen.

Nach dem Aufgeben der politischen Verantwortung, welche die Partei für 49 Tage in der Hauptstadt trug, sputet sie sich nun für den großen politischen Marsch - ein Kampf um die Sitze im Unterhaus des Parlaments im Zentrum der Macht. Obwohl es besorgniserregende Tendenzen bei einigen Parteiführern gibt, ist die zugesagte Unterstützung zahlreicher Bürgerrechtsgruppen, Gewerkschaftler und Umweltaktivisten aus ganz Indien ein gutes Zeichen dafür, dass die offene, pluralistische Politik, für welche die Partei einstand, noch immer auf der Agenda steht, selbst wenn sie geltend macht, dass sie “post-ideologischer” Natur ist.

Die folgenden Bilder geben einen kleinen Eindruck von dem steinigen Weg der Partei in den ersten beiden Monate diesen Jahres.

 

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